In den vergangenen «Labor»-Treffen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB), die ProjektForum seit 2020 mitorganisiert und moderiert (was die «Labor»Treffen sind, erfährt man hier), kam immer wieder die Frage auf, wie man sich am besten vernetzen und austauschen kann, so dass alle Beteiligten zu Wort kommen und Menschen mit Rassismuserfahrung für sich selbst sprechen können. Wie die brasilianische Soziologin Djamila Ribeiro sagt: «…müssen alle über Rassismus sprechen, jedoch aus der eigenen Perspektive».

Darum wurde am letzten «Labor»-Treffen im Mai 2022 das Thema «Austausch – aber wie?» ins Zentrum gerückt. Ziel war es, einen Raum und ein Klima zu schaffen, das den Teilnehmenden erlaubt, gemeinsam über Rassismus und dessen Bekämpfung zu diskutieren, ohne dass sich diese unwohl oder bevormundet fühlen müssen. Alain Stampfli, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der FRB und Projektleiter der «Labor»-Treffen sowie Izabel Barros, Historikerin und antikoloniale Aktivistin in Brasilien und der Schweiz, zeigen im Interview mit Delia Imboden, Projektleiterin bei ProjektForum auf, wie Mensch über Rassismus spricht.

Alain, inwiefern prägt Sprache unser Denken über Rassismus? 

Alain Stampfli: Die Sprache ist unglaublich mächtig, zumal sie unser wichtigstes Kommunikationswerkzeug ist. Das heisst, wir müssen darauf achten, uns korrekt und akkurat auszudrücken. Sobald wir etwas aussprechen oder niederschreiben, werden bestimmte Werte, Ansichten und Vorstellungen (fragwürdig oder nicht) reproduziert und zementiert. Rassismen sind zum Teil in unserer Sprache verankert und für jüngere Generationen gar nicht mehr als solche erkennbar, weil die Zusammenhänge heute grösstenteils nicht mehr gemacht werden oder nicht mehr nachvollziehbar sind. Dennoch finden so immer wieder rassistische Komponenten den Weg in unsere Alltagssprache und beeinflussen so unser Denken über die Zeit.

Hast du dazu noch ein konkretes Beispiel?

Alain Stampfli: Ein Beispiel dafür ist die M-Kopf-Debatte: Vor Jahren war der Zusammenhang zwischen dem Produkt und der eigentlichen Bedeutung des Wortes ganz klar und auch bewusst gewählt. Kinder, die heute eingeschult werden, kennen das Produkt (hoffentlich nicht mehr unter diesem Namen), aber nicht deren tatsächliche Bedeutung. Gerade auch deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Sprache immer wieder überdenken und Dinge auch umbenennen – beispielsweise in «Schokoküsse». Das ist nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht, denn die Sprache ist nicht statisch, wie auch wir als Gesellschaft nicht statisch sind. Wie Kübra Gümüşay in ihrem Buch «Sprache und Sein» so schön schreibt: «Wir brauchen ein Bewusstsein für die eigene Fallibilität. Und wir brauchen Orte, an denen wir die Zukunft ausprobieren, an denen wir ein neues Sprechen üben können: zweifelnd, nachdenklich, hinterfragend, mal laut, mal leise – und immer mit Wohlwollen».

Aus meiner Perspektive beschäftigen sich weisse Menschen in vielen Fällen entweder gar nicht mit der Thematik (Anti-)Rassismus, weil sie meinen, es geht sie nichts an, oder – wenn man sich damit auseinandersetzt – traut man sich teils nicht über Rassismus zu sprechen, aus Angst, etwas Falsches zu sagen… Warum sollten sie es trotzdem tun?

Alain Stampfli: Es reicht nicht, wenn nur die Menschen über Rassismus sprechen, die unter ihm leiden. Es liegt nicht (nur) in ihrer Verantwortung, ein gesamtgesellschaftliches Problem zu bekämpfen. Oft ist die Rede von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Damit sind Menschen gemeint, die rassistische Aggressionen erleiden. Aus meiner Perspektive ist das aber ein Trugschluss, denn von Rassismus betroffen sind auch die Aggressor*innen, also die Menschen, die sich bewusst und unbewusst rassistisch äussern und verhalten. Und gerade deswegen ist es unverzichtbar, dass auch weisse Menschen und Menschen, die sich von Rassismus nicht betroffen fühlen, über Rassismus sprechen. Schlussendlich sind es die Täter*innen, die sich sensibilisieren und ihr Verhalten, Denken und Handeln überdenken müssen. Ich stelle oft fest, dass sich weisse Menschen diesen Gesprächen entziehen, weil sie sich in einer weissen Dominanzgesellschaft gar nicht als Weisse sehen. Sie sind die Norm –  unmarkiert und somit Zuschauer*innen. Über Rassismus zu sprechen und eigene rassistische Verhaltensweisen zu erkennen ist schmerzhaft, aber notwendig, um in der Rassismusbekämpfung einen Schritt weiterzugehen.

Izabel, tu as été invitée par le SLR à faire une intervention sur ce thème lors de la rencontre « laboratoire » du mois de mai. Quels conseils donnerais-tu aux organisations, institutions et personnes qui souhaitent aborder la question du racisme ?

Izabel Barros : Actuellement, il y a une vaste et solide littérature, des vidéos, des groupes de travail, des associations, des collectifs, des pages sur différents réseaux sociaux et des podcasts qui fournissent des informations sur le racisme. Ces plateformes sont accessibles et disponibles en différents formats et langues. En allemand, il existe un livre intitulé Exit Racism, écrit par Tupoka Oggete, qui est également disponible sous forme de podcast. Je pense que c’est une excellente façon d’aborder le sujet.

Pour ton intervention lors de la séance « laboratoire » en mai, tu as choisi le concept de Djamila Ribeiro « Lugar de fala » comme base. De quoi parle ce concept ?

Izabel Barros : Le concept est simple et, comme vous l’avez résumé, il part du principe que le racisme doit être combattu collectivement. Ceci car il est structurel et structurant et a été construit historiquement et socialement. En tant qu’héritage colonial, le racisme a la capacité de déshumaniser les personnes et de discréditer leurs connaissances et leur production. Selon la position qu’un sujet occupe dans une société, il connaîtra une ou plusieurs formes de discrimination. Il est donc important de souligner que oui, nous sommes toutes et tous invités à lutter contre le racisme, le sexisme, l’hétéro-cis-normativité, le capacitisme et d’autres formes de discrimination, mais nous le faisons à partir d’un lieu et d’expériences qui nous sont propres, avec un sac à dos différent. Bref, c’est ce qu’on appelle lugar de fala, ou le lieu de parole.

Et quelles solutions propose-t-il ?

Izabel Barros: C’est le lieu d’où je parle, par rapport à une question inhérente au collectif. Ainsi, en nous positionnant par rapport au racisme, nous avons la possibilité de trouver la meilleure façon de le combattre. Les personnes non-blanches peuvent parler pendant des heures sur ce qui représente être une personne racisée dans une société majoritairement blanche, mais les personnes blanches ne peuvent pas parler pendant trois minutes de ce que signifie être blanc dans cette même société. En nous localisant, nous rendons visibles des personnes qui ont historiquement été invisibles, comme la personne blanche, cis-hétérosexuelle, ayant un statut légal en règle, etc. Nous partageons la violence de l’hyper-marquage. Le lugar de fala, ou la place de la parole n’est pas un outil parfait mais c’est un instrument important pour la création de communautés engagées dans la lutte contre les différentes formes de discrimination, notamment le racisme.

On sait qu’un concept n’aide pas forcément à évoluer dans la réalité : comment as-tu concrètement intégré ou appliqué le concept dans le cadre de la rencontre « laboratoire », et à quoi faut-il faire spécialement attention ?

Izabel Barros : Lors du colloque Laboratoire, nous avons demandé aux personnes qui le souhaitaient de partager leurs “lugares de fala” et de présenter leur collectif à partir d’une amulette qui leur rappelle pourquoi leur collectif/eux se sont engagés à combattre le racisme. C’est une expérience que nous pratiquons au sein de certains mouvements sociaux en Amérique latine où nous essayons de créer des communautés temporaires ou permanentes qui partagent la même préoccupation ou le même engagement social. C’est une façon de baisser les boucliers et de laisser la place à l’accueil, à la fragilité et à l’attention au sein du groupe.  C’est un moment où nous pouvons apprendre à nous connaître en faisant référence à la dignité et à l’expérience des autres personnes qui nous entourent.

Alain, die Art und Weise wie Izabel das Konzept methodisch eingebettet hat, ist schon eher eine unkonventionelle Methode für eine Fachstelle des Bundes oder nicht?

Alain Stampfli: Mir war die Methode bereits bekannt und daher für mich nicht ganz so unkonventionell. Ich finde, hier dürfen wir in Bezug auf Unkonventionalität ein bisschen relativieren. Wurde die Methode oder überhaupt das Konzept in der Bundesverwaltung schon einmal verwendet? Ich glaube nicht. Dient es unserer Arbeit in der Rassismusbekämpfung? Davon bin ich überzeugt und das ist schlussendlich das, was für die Fachstelle für Rassismusbekämpfung im Zentrum steht. Aus diesem Grund ist es aus meiner Sicht nicht mehr unkonventionell. Zudem müssen wir offen bleiben für neue Wege und neue Methoden. Die Bekämpfung von Rassismus ist ein Prozess und Prozesse sind bekanntlich nicht statisch, sondern in ständiger Bewegung.

Alain und Izabel, braucht es denn gerade im Feld der Rassismusbekämpfung unkonventionelle Methoden, um wirklich etwas in der Tiefe zu bewirken? / Est-ce que des méthodes non conventionnelles sont nécessaires dans le domaine de la lutte contre le racisme pour avoir un impact réel en profondeur ?

Alain Stampfli: Ich will nicht sagen, dass es unkonventionelle Methoden sein müssen, jedoch effektive und verschiedene. Es sind auch nicht immer dieselben Methoden, die für alle in ihrer spezifischen Arbeit sinnvoll oder überhaupt anwendbar sind. Als Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes ist es unsere Aufgabe, den Akteur*innen der Rassismusbekämpfung den Raum zum Austausch und die Mittel zur Verfügung zu stellen. In meinem Verständnis erreichen wir die Tiefenwirkung mit unserem Netzwerk und dem unglaublichen Engagement unserer Projektträgerschaften.

Izabel Barros : Ce qui est conventionnel, est finalement conventionnel pour qui ? Ce que vous appelez conventionnel, je l’appelle des représentations préétablies qui favorisent un groupe spécifique. Ce sont des formats qui sont dominés par un groupe spécifique, dans un espace géographique spécifique. Les personnes qui ne dominent pas, ne comprennent pas ou ne se sentent pas à l’aise avec ces codes, formats ou performances finissent par ne pas participer, par rester à l’écart. Ces personnes ne sont pas entendues. Par conséquence, tout un collectif perd parce que nous n’écoutons pas ou n’échangeons pas d’expériences importantes avec les personnes qui ne partagent pas la “performance”. Malheureusement, nous vivons dans une société qui apprécie plus parler qui écouter. 

Delia Imboden: Vielen Dank euch beiden für das spannende Gespräch.

Weiterführende Links zum Konzept:

Buchempfehlungen zum Thema:

  • « La place de la parole noire» Djamila Ribeiro
  • «Sprache und Sein» Kübra Gümüsay
  • «Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes» Ozan Zakariya Keskinkılıç
  • «Exit racism» Tupoka Ogette
  • «Plantation memories» Grada Kilomba
  • «Desintegriert euch!» Max Czollek
  • «Feuer und Brot» (Podcast)
  • «Auf eine Tüte» (Podcast)