Vom Suchen und Finden.
Was macht eine Arbeitgeberin attraktiv? Und wie beeinflusst die soziokratische Organisationsform die Bereiche Finanzen, HR und Administration?
Vor neun Monaten weckte ein Stelleninserat meine Neugierde. Eine neu geschaffene Stelle im Bereich Finanzen, HR und Administration in einer Agentur, die gesellschaftspolitische Themen aufgreift und aktiv mitgestaltet. Eine Agentur, welche nicht nur in Mandaten auf Partizipation setzt, sondern diese auch innerhalb der eigenen Organisation lebt, indem sie sich soziokratisch organisiert, und Transparenz, Gleichberechtigung, Mitsprache und Verantwortung ermöglicht – und auch fordert. Und: Sie lässt ein Arbeitspensum zu, das Raum bietet für Ausgleich und andere Aufgaben. Ob die publizierten Argumente und Versprechen nur den digitalen Raum schmücken oder tatsächlich im Arbeitsalltag gelebt werden? Eine zukünftige Arbeitgeberin, die mir die Gelegenheit gibt, mein Wissen aus der Weiterbildung über ethische Entscheidungsfindung in Organisationen in der Praxis anzuwenden? Die Antworten auf meine Fragen würde ich jedoch nur erfahren, wenn ich den ersten Schritt wagte und ProjektForum meine Bewerbungsunterlagen zukommen liesse.
Ein klar kommuniziertes Vorgehen und ein sportliches Timing (von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Entscheidung waren 15 Tage vorgesehen) bewogen mich zusätzlich, den anonymen Online-Fragebogen zu ergänzen. Er sollte sicherstellen, dass alle die gleiche Chance erhielten, unabhängig von Namen, Geschlecht, Aussehen oder Alter. Nur die Antworten auf die gestellten Fragen zählten. Es war gar nicht so einfach, ein Motivationsschreiben mit begrenzter Zeichenanzahl zu verfassen. Nach dem ersten Auswahlverfahren und der Übergabe der vollständigen Bewerbungsunterlagen folgte ein erstes Gespräch, einen Tag darauf die Unterzeichnung des Arbeitsvertrags. Mittlerweile arbeite ich seit mehr als drei Monaten bei ProjektForum und schreibe diesen Blog.
Vom Zuhören, Verwerfen und Weiterdenken.
Teil eines soziokratisch organisierten Teams zu werden, bedeutet für mich, sich mit einer neuen Organisationsform vertraut zu machen, zuzuhören, bewährte Abläufe zu erkennen, (viele!) Fragen zu stellen, Erfahrungen einzubringen, diese aber auch kritisch zu hinterfragen, Verbesserungsmöglichkeiten zu entdecken und anzusprechen, Wissen, Werte und Haltungen zu teilen – und auch eine gemeinsame Sprache zu finden.
An der Teamretraite im August konnte ich während zwei intensiven Tagen tief in den laufenden Soziokratie-Prozess eintauchen und anschliessend die mir übertragenen Themen entsprechend initialisieren bzw. weiterentwickeln. Wie kann das bevorzugte Lohnmodell konkret umgesetzt werden? Wie lässt sich das neu evaluierte Buchhaltungstool in die bisherigen Abläufe integrieren, und wie vereinfacht es diese bestenfalls? Wo braucht es einheitliches Vorgehen, wo bleibt Raum für Vielfalt, Selbstorganisation und individuelle Arbeitsweise? Dass Transparenz, Gleichberechtigung, Mitsprache und Verantwortung auch fest in unserem Arbeitsalltag verankert sind, zeigt sich auch in der bevorstehenden Mitarbeitendenbeurteilung: Jedes Teammitglied schätzt sich selbst und alle anderen ein. In der Auswertung ist neu auch ersichtlich, wer die Beurteilung vorgenommen hat. Anlässlich des Teamtages im Dezember werden die Mitarbeitenden im Plenum ihre Selbstreflexion, Erkenntnisse und ihr eigenes Ziel fürs nächste Jahr mitteilen. Ich bin sehr gespannt, welche Wirkung diese Form von Mitarbeitendengespräch entfalten wird.
Wie Delia in ihrem Blog-Beitrag zur Teamretraite im Schlusswort festhielt: Wir bleiben dran! Und: Soziokratie hat viele Ausprägungen in der Praxis – wir finden noch immer die unsere. Ich freue mich, zusammen mit dem Team die Achterbahnfahrt fortzusetzen.
PS: Wer weitere Inspiration zum Zusammenarbeiten sucht: «ZUSAMMENARBEITEN – Ein Wegweiser, um gemeinsam Grosses zu erreichen» von Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler