«Partizipation ist eine Haltung, die wir auch in Zukunft pflegen und fördern müssen.»
In einem partizipativen Prozess mit der Bevölkerung entwickelt die Stadt Thun ein Kinder- und Jugendleitbild. ProjektForum hat die Stadt bei diesem Prozess in der Konzeption, Koordination und Moderation begleitet. Im Interview erzählen Rita Schweizer und Agnes Haueter vom Amt für Bildung und Sport der Stadt Thun was sie mit dem Leitbild bezwecken, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene mitgestaltet und mitgewirkt haben und welche Learnings sie für sich ziehen.
Im Juli 2021 hat die Fachstelle Familie einen Partizipationsprozess für ein Kinder- und Jugendleitbild der Stadt Thun gestartet. Wo steht der Prozess heute, fast ein Jahr später?
Agnes Haueter: «Soeben werten wir eine öffentliche Online-Konsultation des Leitbildes aus. Nach verschiedenen Mitwirkungsbausteinen hatte die Öffentlichkeit nun nochmals die Möglichkeit, Einfluss auf das Leitbild zu nehmen. Wir sind gespannt, wie viele und welche Rückmeldungen wir am Schluss des gut halbjährigen partizipativen Prozesses erhalten werden.»
Welches Ziel verfolgt ihr mit einem Kinder- und Jugendleitbild?
Rita Schweizer: «Das Ziel des Leitbildes ist, die grundsätzlichen Werte und Haltungen der Stadt Thun in der Kinder- und Jugendpolitik verbindlich festzuhalten. Daraus wird ein Massnahme- bzw. Aktionsplan für die kommenden vier Jahre abgeleitet. Dieser Aktionsplan wiederum ist die Grundlage für die Re-Zertifizierung mit dem UNICEF-Label kinderfreundliche Gemeinden, die wir für die Periode 2023- 2026 anstreben.»
Agnes Haueter: «Ausserdem möchten wir ein Leitbild, das nicht im stillen Kämmerlein verfasst wird, sondern das von der ganzen Stadt mitgetragen wird. Wir gehen davon aus, dass das Leitbild nur so ein Leitbild für alle wird, das tatsächlich Wirkung zeigen kann.»
Wie konnte die Bevölkerung bei diesem Prozess mitgestalten?
Agnes Haueter: «Der Prozess besteht aus drei Mitwirkungsbausteinen: Für die Bedarfserhebung von Kindern haben wir in Tagesschulen eine Kinderwerkstatt durchgeführt und versucht, mit der «Zwergenmethode» in ihre Lebenswelten einzutauchen. Für die Bedarfserhebung von Jugendlichen bedienten wir uns der aufsuchenden Jugendarbeit und waren mit einem «Partizipations-Caravan» mobil unterwegs. Dort, wo sich Jugendliche gerne aufhalten, kamen wir mit Ihnen ins Gespräch und haben kleine Zukunftswerkstätten durchgeführt.
Beim zweiten Partizipationsbaustein – dem öffentlichen Plenum – war es das Ziel, Rückmeldungen zum Entwurf des Leitbilds sowie konkreter Massnahmen einzuholen. Die Kinderpartizipation haben wir dafür mit dem Kindermitwirkungstag verknüpft: Die Kinder konnten unter anderem die kommunale Politik kennenlernen und sich mit PolitikerInnen austauschen. Für Erwachsene und Jugendliche gab es auf dem Rathausplatz verschiedene «Marktstände», an denen sie sich im Gespräch mit Fachpersonen austauschen und ihre Anregungen abgeben konnten.
Die öffentliche Online-Konsultation – der dritte Partizipationsbaustein – ist primär an Erwachsene gerichtet. Hier ist uns bewusst, dass es für Kinder und Jugendliche hochschwellig ist, über diesen Kanal mitzuwirken. Dennoch: wir haben ein paar Rückmeldungen von Kindern und Jugendlichen erhalten, was uns sehr freut (rund 10% der Rückmeldungen)!»
Was hat euch, bezogen auf diesen partizipativen Prozess mit der Bevölkerung, am meisten überrascht und was sind eure Learnings?
Agnes Haueter und Rita Schweizer: «Wir haben uns sehr über das aufrichtige Interesse und die Bereitschaft, aktiv mitzugestalten von verschiedensten Leuten gefreut. Wir denken da an die Begleitgruppe, die uns unterstützt hat oder Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die wir bei allen Mitwirkungen immer wieder gesehen haben.»
Agnes Haueter: «Mein persönliches Learning ist, dass Partizipation nie abgeschlossen ist. Partizipation ist eine Haltung, eine Kultur, welche wir im Team, in der Stadtverwaltung, im Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen während dieses Prozesses weiterentwickeln konnten. Nun sind wir gefordert, diese Partizipationskultur auch in Zukunft zu pflegen und zu fördern.»
Rita Schweizer: «Ich bin überzeugt, dass wir für die Entwicklung des Kinder- und Jugendleitbildes der Stadt Thun den richtigen Weg gewählt haben. Wir konnten viele Stimmen und Blickpunkte einbinden und das hat den Prozess und das Resultat reich gemacht. Partizipation lohnt sich – braucht aber Ressourcen. Denn damit Partizipation gewinnbringend ist, muss sie sehr sauber aufgegleist und begleitet werden.»
Wie geht es nun weiter?
Rita Schweizer: «Nach der Konsultation werden wir die Rückmeldungen im Leitbild einarbeiten und die konkrete Umsetzung im Massnahmenplan festhalten – und die Resultate dem Gemeinderat vorgelegen. Wenn alle zum Leitbild und den Massnahmen «ja» gesagt haben, dürfen wir hoffentlich feiern und auf die Re-Zertifizierung mit dem UNICEF-Label «Kinderfreundliche Gemeinde» sowie das Kinder- und Jugendleitbild der Stadt Thun anstossen.»
Mehr Informationen zum Kinder- und Jugendleitbild der Stadt finden Sie auf der Website der Stadt Thun.