2020 lancierte die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) die «Labor»-Treffen. Sie bietet damit den Trägerschaften von Antirassismus-Projekten, die von der FRB unterstützt werden, einen Raum für Austausch und Vernetzung. Seit gut eineinhalb Jahren dürfen wir die halbjährlichen «Labor» Treffen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung konzeptionell, organisatorisch und mit Moderation in Deutsch und Französisch begleiten. Höchste Zeit für einen Rückblick mit unserer Kundin, Marianne Helfer, Leiterin der FRB.

Zuerst: Herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Position als Leiterin der Fachstelle für Rassismusbekämpfung beim EDI, auf was freust du dich besonders in deiner neuen Rolle?
Danke! Ich freue mich sehr darauf, mit meinem Team in den nächsten Jahren die Rassismusbekämpfung des Bundes weiterzuentwickeln und zu prägen. Und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Personen und Stellen der Zivilgesellschaft und der Verwaltung.

Mit der «Black Lives Matter»-Bewegung hat sich im Feld der Rassismusbekämpfung einiges bewegt. Was hat sich seitdem aus deiner Sicht in der Schweiz getan?
Die Proteste der «Black Lives Matter»-Bewegung haben Rassismus auch in der Schweiz sichtbar und zum Thema gemacht wie kaum vorher. Die Realität Rassismus und die Dringlichkeit antirassistischer Anliegen werden heute nicht mehr – oder zumindest weniger – in Frage gestellt. Das ist ein grosser Schritt. Jetzt geht es darum, dass aus der lancierten Debatte nachhaltige Veränderungen entstehen.

Gerne möchte ich etwas genauer auf die «Labor»-Treffen eingehen, die wir seit gut 1.5 Jahren begleiten dürfen: Aus welcher Motivation heraus habt ihr diese 2020 lanciert?
Als Orte des Austauschs und des gegenseitigen Lernens dienen die Treffen dazu, diese wichtigen Akteurinnen und Akteure der Rassismusbekämpfung zu stärken. Die «Labor»-Treffen geben den Trägerschaften von Antirassismus-Projekten die Gelegenheit, sich mit anderen Projektträgerschaften und Fachpersonen über ihre Erfahrungen, Erfolge oder Widerstände auszutauschen und voneinander zu lernen. Bei jedem «Labor» Treffen können die Projektträger*innen vorgängig auch beim Thema mitreden und ihre thematischen Bedürfnisse äussern. Die eingegangenen Themenwünsche waren jeweils sehr breit gefächert und zeigten damit auch die vielfältigen Herausforderungen der Rassismusbekämpfung auf.

Welche Themen standen bei den letzten «Labor»-Treffen im Vordergrund?
Grundsätzlich stehen die Vernetzung und das gegenseitige Lernen im Vordergrund. Konkrete Themen waren beispielsweise struktureller Rassismus oder – bei der ersten Durchführung im Juni 2020 – das Motto «Sprint oder Marathon?». Dieser thematische Fokus trug dem Umstand Rechnung, dass Personen und Organisationen, die sich gegen Rassismus engagieren – egal ob staatlich oder zivilgesellschaftlich – Widerständen, Unverständnis, manchmal gar Aggressionen begegnen und oft isoliert arbeiten müssen. Es braucht Ausdauer und einen langen Atem. Ziel war, sich darüber auszutauschen, wie man sich vor diesem Hintergrund kontinuierlich und langfristig engagieren kann.

Juni 2020. Das tönt nicht gerade nach einem perfekten Monat, um eine neue Veranstaltungsreihe zu lancieren?
Ja, der Lockdown war eine Herausforderung bei der Lancierung. Erst wollten wir verschieben oder absagen, doch dann wendeten sich mehrere Projektträgerschaften an uns mit dem Wunsch, eine virtuelle Vernetzungsmöglichkeit anzubieten. Gerade während der Pandemie haben Austausch- und Vernetzungsorte für die Rassismusbekämpfung noch mehr an Bedeutung gewonnen, damit die einzelnen Akteure und Akteurinnen nicht (noch mehr) isoliert werden. Dank eurer durchdachten konzeptionellen und methodischen Unterstützung konnten wir ein digitales Format entwickeln, das den Austausch über ein herausforderndes Thema auch online möglich machte. Besonders auch eure Moderationen waren sehr hilfreich für eine klare, aber auch empathische Strukturierung der Veranstaltungen. Zudem haben wir das digitale Format mit Kleingruppenarbeiten in Breakout-Rooms, digitalen Tools wie Miroboard und mit analogen Elementen wie einem Paketversand aufgelockert.

Wie haben die Teilnehmer*innen auf die digitale Durchführung der «Labor»-Treffen reagiert?
Die Teilnehmer*innen waren insgesamt sehr zufrieden mit den digitalen «Labors». Einerseits hat das digitale Format den Vorteil, dass sich Projektträger*innen aus der ganzen Schweiz sehr einfach an einem Samstagmorgen digital zuschalten können, egal ob sie Elternpflichten haben, im Graubünden wohnen, oder unterwegs sind. Anderseits war der Umgang mit gewissen digitalen Tools manchmal eine Herausforderung. Klar ist, dass wir diesbezüglich alle viel dazu gelernt haben in den letzten 2 Jahren, und dass sich dank der konstruktiven Zusammenarbeit von ProjektForum und FRB das Format auch laufend weiterentwickeln konnte.

Hat die Corona Krise die Themenauswahl für die «Labor»-Treffen im Herbst 2020 und im Juni 2021 aus deiner Sicht beeinflusst?
Nein – beeinflusst hat uns Corona mehr in dem Sinn als der Wunsch nach Austausch und Dialog aller Teilnehmenden sehr hoch waren. Die Themen hingegen sind Dauerbrenner in der Rassismusbekämpfung.
Am zweiten Treffen etwa setzten wir uns mit «strukturellem Rassismus» auseinander. Einerseits ging es um definitorische Annäherungen, andererseits auch um die Frage, wie das Thema verschiedenen Zielgruppen vermittelt werden kann.  Am letzten «Labor»-Treffen im Juni 2021 drehte sich die Diskussion um die Frage «Institutionelle Veränderung statt Projektitis: wie geht das?“ Die FRB unterstützt gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag in erster Linie innovative und zeitlich befristete Projekte. Die projektorientierte Arbeit ermöglicht fokussierte Energie und kreative Leistung. Aber unter welchen Umständen ermöglicht sie eine tatsächliche Auseinandersetzung mit Rassismus? Ermöglicht sie auch nachhaltige Veränderungen innerhalb der Organisation, in der das Projekt stattfindet oder die das Projekt durchführt?

Was waren wichtige Lessons Learned aus den «Labor»-Treffen?
Das Interesse an den Treffen und die grosse Gesprächsbereitschaft zeigen uns, wie wichtig es ist, Vernetzung zu ermöglichen und die Projektträgerschaften zu stärken. Insgesamt haben die Teilnehmenden den Netzwerkaspekt der «Labor»-Treffen denn auch sehr geschätzt und positives Feedback zum methodischen Setting gegeben. Die Treffen haben aber auch gezeigt, wie unterschiedlich nicht nur die Projekte sind, die umgesetzt werden, sondern auch der Stand der Auseinandersetzung mit der Thematik und der Grad der Vernetzung. In diesem Sinn können die «Labor»-Treffen ein geeignetes Gefäss sein, um Wissen und Kontakte auszutauschen. Letztlich beschäftigen sich alle mit ähnlichen Fragen: Wie können wir Menschen sensibilisieren, die sich nicht für das Thema Rassismus interessieren und/oder davon ausgehen, sie seien nicht betroffen? Bekanntlich betrifft Rassismus ja immer die «Anderen». Oder wie ist es möglich, tatsächliche Veränderungen zu bewirken. Gerade hier wurde in allen Treffen das Bedürfnis nach Erfahrungsaustausch der Trägerschaften sichtbar.   

Zum Schluss noch: Hast du einige Lektüre-/Film-/Podcast-/Theater-/Eventtipps für unsere Leser*innen, die sich tiefer mit dem Thema auseinandersetzten möchten?

  • Johnny Pitts berichtet über das afropäische Leben in Paris, Moskau oder Berlin. Eine höchst anregende Reise durch das postkoloniale und postmigrantische Europa. Johnny Pitts (2020): Afropäisch.
  • «The blackpower mixtape 1965-1975» oder «I am not your negro» gehen beide auf eindrückliche Art und Weise dem US-amerikanischen Rassismus auf den Grund. Sie sind eine Art Grundkurs in Sachen Antirassismus.
  • Das Schlachthaustheater und die Dampfzentrale setzen sich über einen längeren Zeitraum mit rassismuskritischer Arbeit auseinander und bieten zwischen Dezember und März diverse Workshops an.

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