Vom Rohbau zum partizipativen Begegnungsort
Die Kaffeemaschine läuft, Geschirr klappert, geschäftiges Treiben hinter dem Tresen: Mit dem Bistro «PERRON-3» ist in der Gemeinde Boll bei Bern ein neuer Treffpunkt entstanden. ProjektForum begleitete das partizipative Projekt von der Idee bis zur Eröffnung.
Im Dezember 2023 erhielten wir einen Anruf vom Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde Vechigen. Er erzählte von einer Idee, wie sie als Kirche in der Gemeinde präsenter sein könnten und dass sie diese Idee gemeinsam mit Menschen aus dem Dorf weiterentwickeln möchten. Deshalb seien sie auf der Suche nach einer externen Person, die sie bei diesem partizipativen Prozess begleite. Ich stutzte kurz. Solche Anfragen haben wir nicht jeden Tag – doch genau das war das Spannende. Ich sagte gerne zu.
Ein Jahr später
Ende November 2024, knapp ein Jahr später, feierte das Resultat dieser einstigen Idee seine Eröffnung: Das Bistro «PERRON-3» am Bahnhof Boll-Utzigen (bei Bern) öffnete seine Türen und wurde gut besucht, ja förmlich überrannt. Menschen aus dem Dorf und der Region plauderten bei Punsch und Glühwein, die Kinder inspizierten die liebevoll gestaltete Kinderecke mit dem «Alten Bahnhöfli» als Spielhaus und das Team – die meisten davon Freiwillige – bewirtete die zahlreichen Gäste.

Viel Zeit hätten sie nicht gehabt, den Begegnungsort zu planen, auszubauen und einzurichten, erzählt Rahel Jordi, Co-Leiterin des PERRON-3, die seit Beginn in der Projektgruppe dabei ist. «Im Juli vor den Sommerferien wurde der Mietvertrag mit der Kirchgemeinde unterzeichnet, anfangs August konnten wir starten und Ende November musste alles bereit sein.» Dass sie es pünktlich zur Eröffnung geschafft haben, sei nur dank dem Engagement und Herzblut vieler Freiwilligen möglich gewesen.
Das Konzept des PERRON-3 ist simpel: Es soll ein gemütlicher Ort für niederschwellige Begegnungen aller Generationen sein, wo man etwas trinken, sich austauschen oder einfach nur «sein» kann – ohne Konsumpflicht. Nebst einem kleinen, auserlesenen Gastroangebot bietet das Bistro viel Platz zum Spielen für die Kleinen und ein einladendes Umfeld zum Plaudern und Verweilen für die Grossen. Das Angebot umfasst auch die Vermittlung von Unterstützung sowie eine Verkaufsfläche für kleine, handgemachte Schätze. Geführt wird das PERRON-3 von einer Co-Leitung, nebst vereinzelten Studierenden sind es vor allem Freiwillige, die die Gäste bewirten.

Kirche muss sich neu erfinden
Doch zurück zum Anfang: Das Projekt entstand mit einem Wunsch, den die Kirchgemeinde seit längerem hegte: «Wir möchten wieder mehr mit Menschen in Kontakt kommen, ihnen begegnen und sie in ihren vielfältigen Lebenssituationen ansprechen», so der Vechiger Pfarrer Matthias Felder. Damit ist die Kirchgemeinde Vechigen durchaus nicht allein – Kirchen sind momentan besonders herausgefordert, neue Formen der Präsenz zu suchen. In einer Welt der Individualität sind sie nicht mehr die normgebende Autorität und die Frage, welche Lebensweise die richtige ist, liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Kirchen brauchen neue Antworten auf gesellschaftliche Veränderungen.
Ein neues Quartier bringt Chancen
Dies hat auch die Kirchgemeinde Vechigen erkannt. Sie verfügt zwar über grosszügige Räumlichkeiten und ein wunderschönes Ensemble von Kirche, Pfarrhaus und Pfrundscheune. Doch diese liegen so abgelegen, dass spontane Begegnungen selten sind. Der Bau eines neuen Quartiers mit Wohnungen und Gewerberäumen direkt am Bahnhof von Boll-Utzigen sehen sie als ihre Chance, um an zentraler Lage einen Ort der Begegnung zu schaffen und einen Beitrag für ein belebtes Zentrum zu leisten. «Menschen zusammenbringen, Menschen dienen und bewirten, für Menschen da sein – das ist für uns Auftrag und zugleich Anliegen der Kirche», so Pfarrer Felder. Deshalb sei die Idee eines Bistros für sie sehr naheliegend gewesen.
Gemeinsam statt alleine
Dem Kirchgemeinderat war wichtig, dass sie diese Idee nicht alleine erprobt – deshalb haben sie von Beginn weg eine sehr offene und partizipative Herangehensweise gewählt. Sie luden die Bevölkerung mit Flyern, Briefen und persönlichen Ansprachen zu einem Austauschtreffen ein und diskutierten gemeinsam Bedürfnisse, Wünsche und Stolpersteine. Die Idee stiess auf offene Ohren und rund 10 Personen erklärten sich bereit, sich fortan in einer Projektgruppe zu engagieren. Ein grosser Vorteil bestand darin, dass die Gruppe von Beginn weg breit aufgestellt war: Nebst interessierten Menschen aus der Bevölkerung sind auch Vertreterinnen und Vertretern aus Vereinen, Netzwerken sowie der Gemeinde und dem Sozialdienst dabei.

Konzeption, Moderation, Redaktion und Fundraising
ProjektForum durfte den partizipativen Prozess begleiten und die Projektgruppe in dieser spannenden Phase unterstützen. In monatlichen Treffen, durch uns moderiert, ging es darum, gemeinsam ein Betriebskonzept auszuarbeiten. Dafür setzten wir uns mit Visionen, Zielen und Zielgruppen auseinander, diskutierten mögliche Angebote sowie den Bedarf an Infrastruktur und Personalfragen. Jedes Mitglied fasste während diesem Prozess eigene Aufgaben und konzipierte in Arbeitsgruppen gewisse Teilbereiche weiter. Die Rolle von ProjektForum war es, den Prozess stets im Auge zu behalten und die Redaktion des partizipativ erarbeiteten Betriebskonzepts zu begleiten. Mit dieser Grundlage schrieben wir Stiftungen, Gewerbe, die Gemeinde sowie die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn für Unterstützungsgelder an, um einmalige Einrichtungskosten sowie den Ausbau des Bistros finanzieren zu können.
Drehscheibe im Quartier
Seit der Eröffnung hat sich der Betrieb eingependelt und ist gut angelaufen: «Wir haben einen Ort geschaffen, der einem Bedürfnis entspricht», so die Co-Leiterin Rahel Jordi. Gerade in einem neu gebauten Quartier soll das Bistro eine wichtige Funktion übernehmen: «Unser Ziel ist es, dass sich das PERRON-3 als zentraler Ort für Begegnung, soziale Integration und Quartierförderung etablieren kann», so Jordi.

Nächsten Monat geht es mit den ersten zusätzlichen Angeboten los: Lesungen, Vorträge, Feierabendchor – alle initiiert von Gästen. Ob Kleidertauschbörse, Spiel- oder Singnachmittage, ein Flohmi oder ein Trauerkaffee – sie seien offen für jegliche Ideen oder Talente, die jemand mit anderen teilen möchte. Das Angebot soll sich bewusst mit den Menschen, die diesen Raum prägen, weiterentwickeln. «So wird das PERRON-3 Teil der Gemeinschaft.»
Mehr Infos unter: www.perron-3.ch