«Von Da Vinci bis Corbusier, von Stühlen bis zum Smartphone, der (arbeitende) Mann ist das Mass, während andere Bedürfnisse wie Sicherheit, Care- oder Haus-Arbeit vernachlässigt würden». Dies sind zentrale Erkenntnisse aus der Veranstaltung «Vom Stadt-Traum zum Stadt-Raum» zu gender- und alltagsgerechtem Planen und Bauen in Chur, die Delia Imboden moderieren durfte. Während einem Stadtspaziergang und ihrem Referat zeige Elke Schimmel, Co-Präsidentin von Lares auf, was bedürfnisorientiertes Planen bedeutet und wo der Kanton Graubünden aktuell steht.

Im Gespräch gehen wir der Frage nach, wie «gender- und alltagsgerechtes Bauen» in der Praxis umgesetzt wird und was dies für die Umsetzung von Partizipationsprozessen bedeutet.

Elke Schimmel, Co-Präsidentin beim Verein Lares, der sich für einen Kulturwandel im Planen und Bauen von Städten einsetzt.

Elke, was ist denn gender- und alltagsgerechtes Bauen eigentlich?

«Menschen finden sich mit unterschiedlichen sozialen Rollenerwartungen konfrontiert, befinden sich in unterschiedlichen Lebensphasen, haben unterschiedliche Lebensrealitäten, unterschiedliche Herkünfte und soziale Lagen. Damit einher gehen diverse Ansprüche an den Raum und dessen vielfältige Funktionen. Beim gender- und alltagsgerechten Bauen geht es demnach um die Gestaltung von Gebäuden und öffentlichen Räumen unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensrealitäten. Ziel ist eine Umgebung, die für alle Nutzer*innen gleichermaßen komfortabel, sicher und zugänglich ist.»

Worauf gilt es da besonders zu achten?

«Wir achten dabei auf Barrierefreiheit, Sicherheit oder Flexibilität, aber auch dass Raum und Infrastrukturen nicht nur auf ein Erwerbsleben ausgerichtet sind, sondern auch die Anforderungen der Care-Arbeit ausreichend berücksichtigen. Warum steht die Waschmaschine immer im Keller? Diese und andere Fragen stellen wir beim Planen und Bauen.»

Welche Funktion hat in diesem Zusammenhang der Verein Lares?

«Der Verein Lares setzt sich dafür ein, dass die gebaute Umwelt niemanden ausschliesst und dass Chancengleichheit durch räumliche Strukturen entstehen kann. Dafür hat der Verein auch einen Leitfaden herausgegeben: https://www.lares.ch/news/genderkompass-planung.

Wir sehen uns als Netzwerk, das sich für einen Kulturwandel im Planen und Bauen einsetzt, damit die Bedürfnisse aller Nutzer*innen selbstverständlich berücksichtigt werden. Lares bietet eine Plattform für alle, die sich für ganzheitliches, soziales und partizipatives Planen und Bauen interessieren und engagieren. Mit unserem Beratungsangebot unterstützen wir Bau- und Projektträgerschaften beim gender- und alltagsgerechten Planen und Bauen.»

Kannst du uns eure Arbeit an einem konkreten Beispiel im Raum Bern erläutern?

«Es gibt einige Projekte, bei welchen wir in Bern die Gendersicht bereits einbringen durften. Eines der ersten Projekte war 2008, als der Bahnhofplatz Bern, Drehscheibe des öffentlichen Verkehrs und zentraler Stadtraum, umgestaltet wurde. Dank einem politischen Vorstoss konnten kompetente Fachfrauen das gesamte Vor- und Bauprojekt seinerzeit als Teil der Projektgruppe begleiten und die Gendersicht direkt in die laufenden Planungen einbringen.

Als Erfolg zählen wir zum Beispiel, dass man sogenannte ‘Angsträume’ vermieden hat – zum Beispiel wählte man Aufzüge mit Glas, damit sichtbar wird, wer sich im Lift befindet bzw. draussen wartet. Weiter brachten wir uns bei der Positionierung und Gestaltung der WC-Anlage, der Beleuchtung, Beschilderung und bei der Wegführung der Bahnreisenden zum Tram ein.

Ein weiteres Projekt schlossen wir letztes Jahr ab. Wir erstellten für die Berner Fachhochschule ein Gendergutachten für den Neubau Campus Bern, bei dem wir die Anforderungen des Betriebsführungskonzeptes aus der Sicht der sozialen Nachhaltigkeit hinterfragt und überprüft haben und eine Genderkriterienliste erstellten.»

Gibt es beim Planen und Bauen auch kleinere Massnahmen, die bereits grosse Wirkung erzielen?

«Auf jeden Fall, hier gibt es viele Möglichkeiten. Beispielsweise kann eine ausreichende und gut verteilte Beleuchtung im öffentlichen Raum die Sicherheit verbessern und die Nutzung für alle erleichtern. Auch Barrierefreiheit ist enorm wichtig, insbesondere für jene, die mit einem Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator unterwegs sind. Als weitere Massnahme kann die Planung von multifunktionalen Räumen, also Räume, die flexibel genutzt werden können und sich an verschiedene Aktivitäten und Bedürfnisse anpassen, gelten. So werden sie den Anforderungen eines breiten Nutzer*innenkreises viel besser gerecht.»

In welchem gesellschaftlichen Bereich braucht es bezüglich gender- und alltagsgerechtem Bauen noch ein „Umdenken“? 

«Zum einen innerhalb der Stadtplanung und Architektur, wo es gilt, der Vielfalt der Nutzerinnen und Nutzer und ihrer Bedürfnisse noch besser gerecht zu werden. Aber auch in der Bauindustrie sollten Bauprojekte unter Berücksichtigung von Geschlechtergleichheit und allgemeiner Zugänglichkeit umgesetzt werden. Bei der Konzeption von Verkehrsnetzen ist immer noch stark der Pendlerverkehr (Wohnung-Arbeitsplatz-Wohnung) ausschlaggebend. Die Wegeketten von Personen mit Care-Arbeit und die Anforderungen an einen komplexen Alltag (z.B. Wohnung-Kindergarten-Schule-Arbeitsplatz-Einkauf-Kindergarten-Arztbesuch-Schule-Wohnung) werden viel weniger berücksichtigt.

Insgesamt erscheint es mir wichtig, immer wieder den Nachdruck auf einen ganzheitlichen Ansatz, der die Zusammenarbeit verschiedener Akteur*innen aus Verwaltung, Politik, Industrie, Zivilgesellschaft und Bevölkerung umfasst, anzustreben. Nur so können langfristige Veränderungen erreicht werden.»

Und welchen Tipp kannst du uns bezüglich Partizipation beim Planen und Bauen geben?

«Partizipationsprozesse inklusiv zu gestalten. Dies kann zwar zuweilen eine Herausforderung sein, stellt man sich dieser aber, erhöht dies die Zufriedenheit mit und die Qualität der Planungsergebnisse. Wenn man die heutigen und künftigen Nutzer*innen möglichst intensiv an Planungsprozessen beteiligt und darauf achtet, dass die Prozesse so gestaltet sind, dass sie für alle attraktiv, einladend und zugänglich sind, können verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse in die Gestaltung unserer Städte und Gemeinden einfliessen.»

Mehr Infos zum Verein und seinen Projekten: lares.ch