Das letzte Jahr war für die Villa Stucki ein Jahr des Umbruchs. Im Sommer 2019 wurde entschieden, das Mittagsrestaurant und die Arbeitsintegration per Ende 2019 einzustellen und auch der Trägerverein zog sich aus der Betriebsverantwortung zurück, um sich künftig nur noch auf den Quartiertreff fokussieren zu können. Doch wie gelingt der Schritt von einem wirtschaftlichen Betrieb mit Angestellten zu einem ehrenamtlich geführten Quartiertreff? ProjektForum durfte den Trägerverein in dieser spannenden Phase beraten und begleiten.

Karin Wüthrich und Selina Vonarburg, Vorstandsmitglieder des Vereins, erzählen von Partizipation im Quartier, motivierenden Online-Sitzungen während dem Lockdown und auf was sie sich im neuen Quartierzentrum besonders freuen.


Im letztjährigen Sommer stand die Zukunft der Villa Stucki in den Sternen. Wie war diese turbulente Zeit für euch als Vorstand?

Selina: Für uns stand nie ausser Frage, dass die Villa Stucki ein öffentlicher Ort im und für das Quartier sein soll. Wir sahen den Umbruch vielmehr als Chance, um gemeinsam einen neu ausgerichteten, lebendigen Begegnungsort im Quartier schaffen zu können. Es wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen, um sich der Zukunft der Villa Stucki anzunehmen.

Wie ging es dann weiter?

Selina: Wir wollten das Quartier von Beginn weg im Entwicklungsprozess einbinden, ihnen zuhören, sie spüren. Schliesslich ist die Villa Stucki seit den 80er Jahren ein Quartierzentrum und «gehört» dem Quartier. So haben wir interessierte Privatpersonen, Gruppen und Organisationen zu zwei Mitwirkungsveranstaltungen eingeladen. Hier folgte auch unser erster Auftrag an ProjektForum: Andy Limacher übernahm die Moderation und redaktionelle Begleitung der beiden Treffen.

Wie habt ihr die Partizipation des Quartiers erlebt?

Selina: Wir waren schlicht überwältigt! Es kamen bei beiden Veranstaltungen über 70 Personen aus dem ganzen Quartier zusammen, die sich ausgetauscht und gemeinsam Ideen gesammelt haben. Daraufhin entstanden drei Arbeitsgruppen, welche die Arbeit in mehreren Treffen weiterführten.

Karin: Mir als Quartierbewohnerin hat es damals so richtig den Ärmel «reingezogen». Ich kannte die Villa Stucki und war auch regelmässige Besucherin. Doch eine so inspirierende, ja ansteckende Stimmung habe ich selten erlebt. Für mich war klar, dass ich mich unbedingt weiter engagieren wollte und schrieb mich für die Arbeitsgruppe «Betriebsmodell» ein und wurde ein Teil der Projektgruppe.

Ihr habt euch beide in der Arbeitsgruppe engagiert, um ein neues Konzept für den Quartiertreff zu entwickeln. ProjektForum begleitete und coachte diesen Prozess. Dann folgte im März 2020 der Lockdown – wie seid ihr damit umgegangen?

Karin: Ich war von meinen früheren Anstellungen gewohnt, digital und in interdisziplinären Teams zu arbeiten und dachte nur: Karin, das ist deine Chance, was zu bewegen! Ich hatte keine Minute lang Zweifel, dass das gut kommt.

Selina: Tatsächlich war die Zusammenarbeit in dieser Arbeitsgruppe unsere Rettung im Lockdown. Wir sind mit einem unglaublichen Drive in diesen Prozess gestartet und haben mehrmals in der Woche ganze Vormittage mit Zoom-Sitzungen verbracht. In den 2-3stündigen Sitzungen waren wir derart fokussiert und effizient, dass wir manchmal sogar vergessen haben, eine Pause einzulegen.

Karin: Wir wussten: Im Mai 2020 soll dieses Konzept stehen, obwohl damals gar noch nicht klar war, ob die Mitgliederversammlung überhaupt stattfinden kann. Jeden Freitag stimmten wir uns dann in einer Online-Sitzung mit ProjektForum ab, in der Andy Limacher unsere Ideen anhörte, einordnete und dem Ganzen wieder eine Struktur gab. Er schaffte es, den externen Blick zu bewahren und uns manchmal auch wieder zurück auf den Boden zu holen.

Welche Erkenntnisse könnt ihr aus dieser Corona-Zeit ziehen?

Karin: Für uns ist klar, dass wir digital und analog  mit den Mitgliedern kommunizieren möchten, zum Beispiel auch mal mit einer Online-Umfrage ein Stimmungsbild abholen können. Ausserdem ist es heute viel selbstverständlicher, dass jemand bei einer Sitzung auch einfach online dazu geschaltet werden kann. Das schafft eine grosse Flexibilität.

Selina: Ich denke für uns alle – auch für ProjektForum als Agentur – war es eine sehr spannende und lehrreiche Zeit. Wir hatten eine Spielwiese, auf der wir alle ausprobieren und testen konnten, wie durch digitale Zusammenarbeit ein gemeinsames Produkt entstehen kann.

Für die Mitgliederversammlung habt ihr es nach reiflicher Überlegung vorgezogen, diese zu verschieben, statt online durchzuführen. War es der richtige Entscheid?

Karin: Wir vom Vorstand kannten viele der Mitglieder selbst nicht und wussten nicht, welche Erwartungen sie uns gegenüber hatten. Ich denke es war wichtig, dass wir uns nach dieser turbulenten Zeit mit ihnen bei einem persönlichen Gespräch austauschen konnten.

Selina: Die Mitglieder wählten uns mit einem Lächeln in den Vorstand und würdigten unsere Arbeit mit einem grossen Applaus. Wir spürten ihre Unterstützung und das Vertrauen, das sie uns entgegenbringen – das wäre online anders gewesen.

Mit der Verabschiedung des Konzepts ist der Startschuss für den neuen Quartiertreff gefallen. Was erwartet uns zukünftig in der Villa Stucki?

Karin: Nebst dem Tagi Leolea und dem Laden «Bern unverpackt» werden weitere externe Institutionen fix eingemietet sein. Zudem wurde eine neuer Gastrobetrieb ausgewählt, der künftig für kulinarische Highlights in der Villa Stucki sorgen wird.

Selina: Vor allem soll die Villa Stucki nun als Quartiertreff vom Quartier genutzt und belebt werden können. Wir öffnen die Türen für alle, die die Villa Stucki nutzen möchten und bieten nebst Räumlichkeiten auch direkt Unterstützung mit unserem Netzwerk an. Sei es eine Veranstaltung, ein Flohmarkt oder ein Kurs – die Möglichkeit Neues auszuprobieren sowie Angebote, Ideen, soziale Aktionen und Innovationen umzusetzen sind unbegrenzt. Wir wünschen uns einen lebendigen und vielseitigen Begegnungsort, an dem alle einen Platz haben, wo Toleranz und Diversität gelebt wird und Neues mit viel Mut und Eigensinn ausprobiert werden kann.

Zu guter Letzt: Worauf freut ihr euch im neuen Quartierhaus am meisten?

Karin: Ich habe in meinem Kopf schon lange eine ganz klare Vorstellung der Villa Stucki. Ich freu mich unglaublich auf den Moment, wenn ich dieses Quartierhaus betrete und die erträumte Willkommens- und Mitwirkungskultur gelebt wird.

Selina: Die Villa gehört dem Quartier und ich freue mich ganz besonders darauf, wenn wir sie wieder dem Quartier und seinen Bewohnenden zurückgeben können – im Sinne von «macht was damit, sie gehört wieder euch!»