Akute Versorgungskrise bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen. Was nun?
Zwischen 2017 und 2021 hat sich der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz, die von psychischen Belastungen berichten, mehr als verdoppelt! Sie und ihre Angehörigen werden dabei oft allein gelassen: Kinder und Jugendliche warten teilweise monatelang auf ein passendes Betreuungs- oder Unterstützungsangebot. ProjektForum hat mit Benedikt Schmid, Co-Präsident Junge Mitte Kanton Zürich, über die akute schweizweite Versorgungskrise und seine Lösungsansätze gesprochen.
ProjektForum hat Benedikt Schmid am multiprofessionellen Symposium der Stiftung Berner Gesundheit vom 19. November 2022 zum Thema «Unsere Kinder heute gestresst – morgen psychisch krank?», welches wir co-moderieren und mit organisieren durften, kennengelernt. Benedikt war mit seinen 21-Jahren jüngster Podiumsgast – und er hat mit seiner Haltung überzeugt.
Benedikt, du bringst mit deinen 21 Jahren nicht nur national an verschiedenen Podien (z.b am WEF) deine frische Perspektive ein, sondern hast beispielsweise auch die Initiative «Gesunde Jugend Jetzt!» im Kanton Zürich ins Leben gerufen. Warum liegt dir das Thema psychische Gesundheit so am Herzen?
«Ich kenne Freunde, die warten müssen, Familien, die unter der Situation mitleiden und Lehrer*innen, die verzweifeln. Ich möchte ein ernstes Problem angehen, welches meine eigene Generation sehr stark betrifft. Zudem ist bekannt, dass die Situation sich weiter verschärfen wird. Während der Bedarf nach Behandlung stetig steigt, gibt es immer weniger Therapieplätze, da immer mehr Kinder- und Jugendpsychiater*innen in Pension gehen, während fast keine neuen ins System einsteigen. Wenn wir das Problem nicht sofort angehen, wird es in einer Katastrophe enden.»
Warum hat sich der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit psychischen Belastungen in den letzten Jahren mehr als verdoppelt? Liegt es auch an der Corona Pandemie?
«Die Pandemie hat viele Jugendliche und Kinder überfordert. Doch die neusten Zahlen der Pro Juventute zeigen, dass ihre Beratungen zum Thema Suizid auch 2022 weiter gestiegen sind und es keine Entspannung gibt. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir mit dem Krieg und der Inflation nach wie vor mit weiteren Krisensituationen konfrontiert sind.»
Wie konnte es überhaupt zu einer solchen akuten Versorgungskrise kommen?
«Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass Kinder und Jugendliche auf der einen Seite eine sehr schwache Lobby haben. Gleichzeitig wurde das Problem durch die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen schlicht nie wirklich ernst genommen. So gab es beispielsweise in Zürich bereits 1996 seit der Einführung der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu wenig Angebote für Kinder und Jugendliche.»
Wo siehst du die grössten Hebel der Politik und Verwaltung, um zu einer raschen Lösung dieser Problematik beizutragen?
«Für rasche Lösungen ist die Problematik zu komplex. Das fehlende Personal muss erst ausgebildet werden und es dauert erfahrungsgemäss Jahre, bis die Prävention greift. Deshalb braucht es eine langfristige, interdisziplinäre Strategie, bei welcher alle betroffenen Akteur*innen einbezogen werden müssen. Beispiele für Massnahmen wären: Kantone müssen die hohen Ausbildungskosten aller Kinder- und Jugendpsychiater*innen/Psychotherapeut*innen übernehmen, psychische Erkrankungen müssen entstigmatisiert werden, Kinder und Jugendliche müssen innerhalb der Schule auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht werden und zudem braucht es eine bessere Koordination zwischen Schule und Medizinalpersonen… Ich könnte hier ein Buch schreiben. Ziel der Regierung muss eine Behandlungsaufnahme innert spätestens 4 Wochen sein!»
Und für welche innovativen Lösungen plädierst du, und was muss sich in unserer Gesellschaft oder im politischen System dringend ändern, damit sich die von dir erwähnten Massnahmen auch konkret umsetzten lassen?
«Ich hatte vor Kurzem ein interessantes Gespräch mit dem CEO von Aepsy, eine Vermittlungsplattform für Psycholog*innen. Nicolas Egger hilft seinen Kund*innen mittels eines Algorithmus zur idealen Therapeut*in zu finden. Solche Angebote helfen das Problem effizienter zu lösen. Bei der stationären Therapie hat Innovation aber einen schweren Stand, da man trotz intensiver Forschung immer noch die gleiche Betreuung benötigt, wie dies vor 20 Jahren der Fall war.»
Zum Schluss: Wie können sich unsere Leser*innen am besten selber für das Thema engagieren?
«Ihr Umfeld auf psychische Erkrankungen sensibilisieren und den Betroffenen inkl. ihrem Umfeld Mut zusprechen. Zudem stehe ich jedem/jeder unterstützend zur Verfügung, falls jemensch in einem anderen Kanton eine ähnliche Initiative lancieren möchte.»
Du möchtest mehr zu dem Thema erfahren. Wir vernetzen dich gerne – kontaktiere uns! Ein weiterführendes Interview zum Thema mit Christian Ryser, Leiter Berner Gesundheit, findest du im «Bund».