Warum und wie werden Betroffene zu Beteiligten? Welche Betroffenen möchten sich überhaupt beteiligen und über welche Kommunikationskanäle können sie erreicht werden? Und schliesslich: Wie können verschiedene Bevölkerungsgruppen bestmöglich dazu befähigt werden, sich wirklich fundiert und gut informiert beteiligen zu können?

Um Personengruppen, die sich erfahrungsgemäss nur unterdurchschnittlich an Formaten, wie Umfragen, Vernehmlassungen oder Veranstaltungen beteiligen die Partizipation zu ermöglichen, braucht es nicht nur neue Kommunikationskanäle, sondern auch neue und kreative Beteiligungsformate. ProjektForum durfte zusammen mit dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt ein solches Format entwickeln und umsetzen.

Warum sollen Betroffene zu Beteiligten werden?

Menschen, die von einer bestimmten Veränderung betroffen sind, sollen diese Veränderung mitgestalten können: Betroffene sollen zu Beteiligten werden. Die damit verbundenen Hoffnungen und Motive sind vielfältig. Partizipative Prozesse können aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und Motiven lohnend sein, und deren Bedeutung wurde von verschiedensten Disziplinen erkannt.

ProjektForum freut sich über diese Tendenzen, denn auch wir sind überzeugt davon, dass durch Partizipation viele positive Entwicklungen in Gang gesetzt werden. Jedoch möchten wir auch ein grosses ABER dahinter setzten: Partizipative Prozesse dürfen nicht zur Routineübung werden!

Wer beteiligt sich?

Genauso titelt Marion Zängerle von urbanista.ch in einem Blogbeitrag: «Mitwirkung darf nicht zur Routineübung verkommen». Sie legt dabei ein besonderes Augenmerk auf das Thema der Repräsentativität in Partizipationsprozessen. In ihrer Wahrnehmung beschränkt sich der Kreis der Teilnehmenden an Partizipationsveranstaltungen «oftmals auf die immergleichen bekannten Gesichter: die nächste Generation des Urtypus «Gemeindeversammlungsgänger:in»». Zängerle sieht im Erreichen einer breit abgestützten Zielgruppe das Schlüsselmoment der Partizipation. Um diese Zielgruppen zu erreichen, müssen wir raus aus unseren Komfortzonen und neue Informations- und Kommunikationskanäle aktivieren.

Neue Wege zur Befähigung und Ermächtigung

Ich teile diese Einsicht von Zängerle, bin allerdings der Meinung, dass wir nicht nur im Bereich der Information und Kommunikation neue Wege suchen müssen, sondern auch im Bereich der gewählten Formate, in denen wir Partizipation stattfinden lassen. Um vielfältige Beteiligung zu erreichen, müssen wir vielfältige Möglichkeiten anbieten, die es unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und Voraussetzungen erlauben, teilzunehmen. Und dazu müssen wir unsere Komfortzone definitiv verlassen. Neben den eingesetzten Formaten ist auch auf die zielgruppengerechte Vermittlung des Partizipationsgegenstandes zu achten. Gleichzeitig sind die Methoden und Mittel, die zur Meinungsäusserung und Mitwirkung zur Verfügung gestellt werden zentral. Äussern sich die Zielgruppen lieber mündlich, oder schriftlich? Welche Sprachen beherrschen sie, und ist «Sprache» überhaupt die geeignete Kommunikationsform?

Dezentrale Gesprächsrunden – ein Beispiel aus dem Kanton Basel-Stadt

Zur Erarbeitung von Massnahmen im Bereich der Alterspolitik hat ProjektForum mit dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt einen solchen Schritt raus aus der Komfortzone gewagt. Das Ziel war, die Bereiche «Förderung von Sozialer Teilhabe» und «Schutz vor Ausschluss und Benachteiligung im Alter» unter Beteiligung von sogenannt «Betroffenen» weiterzuentwickeln. «Die praktische Erfahrung einer Lebenssituation ist unersetzlich. So kann die persönliche Sicht einen guten Beitrag zur Politikgestaltung liefern», sagt Michael Tschäni, Verantwortlicher für die Koordination Alterspolitik bei dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt. Für das Beteiligungsverfahren wurden daher gezielt ältere Personen mit persönlichen Erfahrungen mit Einsamkeit, Diskriminierung und Ausschluss gesucht, denn diese «Betroffenen» beteiligen sich aus Erfahrung meist nur unterdurchschnittlich bei anderen Beteiligungsformaten, wie Umfragen, Vernehmlassungen oder Netzwerkveranstaltungen.

Schlüsselpersonen als wichtige Multiplikator*innen

Um Personen zu erreichen, die also per Definition schwer erreichbar sind (einsame Personen, von Ausschluss betroffene Personen, Personen mit wenig Teilhabemöglichkeiten oder marginalisierte Personen), setzten wir einerseits auf die Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen, welche aufgrund ihrer Tätigkeit bereits mit entsprechenden Personengruppen in Kontakt stehen und anderseits auf das Format der «dezentralen Gesprächsrunden». Auf die klassische, zentral durchgeführte grössere Veranstaltung wurde bewusst verzichtet. An ihrer Stelle wurden verschiedene kleinere Gesprächsrunden mit jeweils 6 bis 7 Teilnehmenden durchgeführt, welche von den Schlüsselpersonen moderiert wurden.  Diese Gesprächsrunden fanden je nach Bedürfnis der Teilnehmenden in ihrer Nähe und an ihnen bereits bekannten Orten statt (z.B. in der Alterswohnsiedlung).

Beteiligung durch geeignete Formate ermöglichen

Bei einer darauffolgenden Auswertungssitzung mit den Schlüsselpersonen, trugen diese die jeweiligen Ergebnisse ihrer Gruppen zu einer ganzheitlichen Synthese zusammen. Der Fokus wurde bei dem Format der «dezentralen Gesprächsrunden» ganz auf die Ermöglichung der Teilnahme gelegt: Für einige Personen wurden Transportmöglichkeiten organisiert, für andere spezielle Sitzgelegenheiten. Den Herausforderungen bei solchen Beteiligungsprozessen gilt es mit der Wahl des richtigen Formates zu begegnen. Das bestätigt auch Michael Tschäni: «Jede Gruppe hat andere Sensibilitäten. Das beginnt beispielsweise bei der Wahl des Raumes: Mehrere Gruppen in einem Raum geht für ältere Personen oft aufgrund der Akustik nicht. Es sind diese kleinen Details, die den Unterschied ausmachen.» Für das Gelingen von Beteiligungsprozessen gibt es laut Tschäni aber kein Geheimrezept, das sich auf jegliche Situationen übertragen lässt: «Grundlegend erscheint mir, dass man die Teilnehmenden ernst nimmt und in der Kommunikation mit ihnen in Bezug auf die Ziele und Möglichkeiten des Prozesses transparent ist.» Wichtig ist es auch, die optimale Geschwindigkeit für alle Elemente des Prozesses zu finden. Dabei darf laut Tschäni ruhig mehr Zeit in das Finden der Teilnehmenden und die Konzeption der geeigneten Verfahren, Methoden und Instrumente des Beteiligungsprozesses investiert werden.

Ein vorläufiges Fazit?

Während die Bedeutung der Beteiligung von verschiedenen Disziplinen erkannt wurde, gilt es darauf zu achten, dass Partizipation nur dann zielführend ist, wenn sie ehrlich und breit abgestützt erfolgt. Um eine möglichst repräsentative Teilnehmendengruppe zu mobilisieren, reicht es nicht nur neue Kanäle der Kommunikation und Information zu aktivieren, es müssen auch neue Formate und Methoden entwickelt werden, die eine wirkliche und wahrhaftige Befähigung und Ermächtigung der Zielgruppe erlauben.

Dabei lohnt es sich, die vertrauten Wege auch mal zu verlassen.  Manche Zielgruppen lassen sich nur schwer mobilisieren – es lohnt sich, auf sie zuzugehen und sie abzuholen.