Alle Jahre kommen sie wieder: die Mitarbeitendengespräche. Mit etwas Respekt wird dem Termin mit der Chefin, dem Personalverantwortlichen, den Teamleitenden entgegengeschaut. Das vergangene Jahr wird innerhalb einer knappen Stunde durchgemangelt, die individuellen Leistungen beurteilt. Vieles hängt von dieser Beurteilung ab: Lohnverhandlungen, Zukunftsperspektiven, persönliche Entwicklung. Und wie läuft das in selbstorganisierten, soziokratischen Teams, wo es keine Vorgesetzten gibt? Wir haben uns dieses Jahr auf einen Versuch eingelassen.

Das Mitarbeitendengespräch im selbstorganisierten Team

Als wir uns vor einem Jahr auf das Abenteuer Teamentwicklungsprozess nach soziokratischen Ideen eingelassen haben und mit der neuen Verteilung der internen Verantwortlichkeiten gestartet sind, waren wir uns bewusst, dass mit diesem Entscheid auch einige praktische Fragen auf uns zukommen werden. Wie zum Beispiel sieht das Mitarbeitendengespräch im selbstorganisierten Team ohne Vorgesetzte aus? Wie können wir dem wichtigen Bedürfnis nach Feedback, nach konstruktiver Kritik und Evaluation unserer Leistungen in dieser neuen Rollenverteilung nachkommen?

Rückmeldungen nicht nur zum Jahresende – aber auch.

In einem ersten Schritt haben wir an unserer Feedbackkultur gearbeitet. Denn am sinnvollsten finden wir es, wenn wir Rückmeldungen möglichst zeitnah zu den entsprechenden Handlungen erhalten – und nicht erst am Jahresende. Doch auch das klassische Gespräch am Jahresende, an dem man zurückblickt und Fazit zieht, finden wir wichtig. Das Ressort HR hat dementsprechend die Aufgabe übernommen, für dieses Jahr einen Prozess und Instrumente für die Mitarbeitendenbeurteilung im soziokratisch organisierten Team zu entwickeln. Wir orientierten uns an folgendem Vorgehen, angelehnt an den Vorschlag von Bruno Müller:

  • Jedes Teammitglied beurteilte jedes Teammitglied mittels digitalem Fragebogen
  • Danach erhielt jedes Teammitglied seine eigene Auswertung mit den anonymen Beurteilungen der anderen.
  • Es folgte eine Woche Zeit zur Selbstreflexion. In dieser Zeit wurde nicht mit den anderen über die Beurteilung gesprochen.
  • An unserem Teamentwicklungstag gab es zum Abschluss der Mitarbeitendenbeurteilung einen Gruppenworkshop. In diesem Workshop teilten wir den anderen mit, wie wir die Beurteilungen aufgenommen haben, was uns gefreut, was uns überrascht hat und welche Konsequenzen wir daraus fürs nächste Jahr ziehen. Während ein Teammitglied seine Erkenntnisse mit den anderen teilte, durften die anderen keine Fragen oder Bemerkungen machen.
  • Abgeschlossen wurde der Gruppenworkshop mit einer Komplimentendusche: Reihum wurde jedem Teammitglied mitgeteilt, warum die jeweilige Person für das Team als wertvoll betrachtet wird. Ziel davon war, dass alle den Beurteilungsprozess mit einem guten Gefühl beenden konnten. 

Was nehmen wir aus dieser ersten Erfahrung mit?

Auch wenn es zu Beginn ungewohnt war und diese neue Form der Evaluation bei vielen etwas Nervosität auslöste, sind wir uns einig: für einen ersten Versuch war das ein voller Erfolg! Die Mischung aus quantitativen Beurteilungen auf einer Skala und schriftlichen Rückmeldungen sowie dem anschliessenden, qualitativen Gruppenworkshop bot uns allen – sowohl als Beurteilende, wie auch als Beurteilte – eine gute Bandbreite an Möglichkeiten, Feedbacks abzugeben und einzuholen. Natürlich gibt es noch einige Fragen und Verbesserungsmöglichkeiten: Wieviele Stufen haben die Bewertungsskalen? Bewerten wir uns anonym, oder nicht? Wo gibt es Kommentarfunktionen? Und wie gehen wir bei Problemen, Unstimmigkeiten oder Unverständnis miteinander um?

Diesen Fragen wollen wir uns bei der Weiterentwicklung unserer Methode widmen, um im nächsten Jahr mit einer adaptierten Version unseres neuen Mitarbeitendengesprächs zu arbeiten. Denn, bei allen Fragen, die sich noch stellen, überwiegen für uns die Vorteile einer solchen Methode: Die Mitarbeitendenbeurteilung ist nicht mehr blosse Einwegkommunikation von Vorgesetzen zu Mitarbeitenden, sondern Teambeurteilung auf Augenhöhe. Mit unserem Vorgehen beurteilen wir alle einander, anhand derselben Kategorien und reflektieren uns dabei auch selbst. An den konkreten Methoden und Instrumenten feilen wir noch – wir sind aber überzeugt, mit diesem Ansatz eine nachhaltige und zu uns passende Herangehensweise an die Mitarbeitendengespräche gefunden zu haben.